Pressemitteilung: Novitas BKK behindert akute Schmerzbehandlung!

Schmerzpatienten in Deutschland und ihre Angehörigen verstehen die Welt nicht mehr. Ärzte fühlen sich massiv belästigt und bedrängt, Apotheker kochen vor Wut. Grund dafür: Die Novitas BKK lässt 60.000 Betäubungsmittelrezepte aus den Jahren 2010 und 2011 prüfen und will damit angeblich Hinweisen auf eine "nachlässige Verschreibungspraxis" nachgehen.

Täglich werden in Deutschland zigtausend schwer kranke Patienten mit starken Schmerzmitteln, so genannten Betäubungsmitteln (kurz: BTM) versorgt. Diese stark wirksamen Arzneimittel müssen vom Arzt auf besonderen Rezepten nach Vorgaben der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung von 1998 (kurz: BTMVV) verordnet werden. Seit zwölf Jahren erfolgte diese Versorgung mit BTM aus Sicht der Freien Apothekerschaft e.V. reibungslos, zum Wohl der Patienten und von den Krankenkassen unbeanstandet.

Das ist seit einem Monat vorbei. Vorbei, seit ein ehemaliger Mitarbeiter des Apothekerverbands Nordrhein die Seite wechselte und Geschäftsführer einer Firma wurde, welche für die Krankenkassen Rezepte auf korrekte Abgabe prüft. Nach eigenen Angaben prüfte die Firma Protax GmbH 60.000 BTM-Verordnungen aus 2010, die für Versicherte der Novitas BKK beliefert und abgerechnet wurden. Novitas BKK-Vorstand Reiner Geisler erläutert in einer Pressemitteilung mit Datum vom 22. August 2011: "Es geht uns um die Arzneimittelsicherheit, gerade bei potenziell gefährlichen Medikamenten sind unsere Versicherten auf vollständige und richtige Rezepte angewiesen".

Die Freie Apothekerschaft e.V. vermutet hinter der Aktion der Krankenkasse jedoch ganz andere Gründe als die vorgebliche Sorge um die Arzneimittelsicherheit. Denn nicht korrekte Rezepte werden "retaxiert": Die Novitas BKK kürzt oder storniert die Rechnung der Apotheken, die das Betäubungsmittel abgegeben haben. Dadurch sind bundesweit tausende Apotheker mit Rückforderungen der Novitas BKK konfrontiert, teilweise in einer Höhe von bis zu 10.000 Euro.

Was hat die Novitas BKK an den Rezepten auszusetzen? Nach eigenen Angaben geht es der Novitas um eine "nachlässige Verschreibungspraxis". Ein Kritikpunkt, der die verordnenden Ärzte betrifft. In der Folge geht es um Verordnungen, die Apotheker nicht hätten beliefern dürfen. Und Geld sei eben, so gibt ein Pressesprecher der Novitas BKK auf der Facebook-Seite der Krankenkasse freimütig zu, ein wirksames Druckmittel.

"Nachlässige Verschreibungspraxis" der Ärzte?

Einige Beispiele dafür, was die Novitas BKK konkret unter einer "nachlässigen Verschreibungspraxis" versteht:

Eine handschriftlich hinzugefügte Telefonnummer sei vom Arzt nicht mit einer zweiten Unterschrift bestätigt worden, bei der Gebrauchsanweisung laut "ärztlicher Anweisung" würde das Wort "schriftlicher" fehlen. Bei Gemeinschaftspraxen sei der Name des verordnenden Arztes nicht extra gekennzeichnet worden, hingegen ist auf jedem Rezept die individuelle Vertragsarztnummer aufgedruckt.

Solche Beispiele zeigen aus Sicht der Freien Apothekerschaft e.V., dass es der Novitas BKK nicht (wie behauptet) um die "Arzneimittelsicherheit" geht, sondern möglicherweise eher darum, mit relativ leicht eintreibbaren Forderungen die Bilanz der Krankenkasse aufzubessern. Denn die Forderungen gegenüber den Apothekern können Krankenkassen wie die Novitas BKK einfach mit Hilfe der Rechenzentren gegen die monatlichen Forderungen der Apotheken verrechnen.

Was bedeutet das für die Patienten und die Apotheken?

Die Novitas BKK verweigert die Bezahlung von Rezepten, Apotheker werden künftig auf formal hundertprozentig korrekt ausgestellte Rezepte bestehen müssen. Ansonsten laufen sie Gefahr, die Arzneimittel aus eigener Tasche bezahlen zu müssen, möglicherweise verbunden mit einer Strafanzeige bei der zuständigen Aufsichtsbehörde. Denkbar, so die Sorge der Freien Apothekerschaft e.V., dass möglicherweise bald andere Krankenkassen dem Beispiel der Novitas BKK folgen.

Das könnte dazu führen, dass auf starke Schmerzmittel angewiesene Patienten künftig so lange auf ihre dringend benötigten Medikamente warten müssen, bis der Arzt das Rezept hundertprozentig korrekt ausgestellt hat. Und das kann, so der Vorstand der Freien Apothekerschaft e.V., etwa an Wochenenden, im Urlaubsfall oder bei räumlich weit entfernten Arztpraxen durchaus mehrere Tage dauern. Das sei absolut nicht hinnehmbar.

Damit kämen wir zu einem Zustand, den wir als verantwortungsvolle Heilberufler unseren Patienten unter gar keinen Umständen zumuten wollen und können, so ist es aus Vorstandskreisen der Freien Apothekerschaft zu hören.

Die deutschen Apotheker sind nicht nur wütend über die Retaxierung "unkorrekter Rezepte" und die daraus resultierenden massiven finanziellen Verluste, sie sind auch extrem verunsichert. Denn rein formaljuristisch betrachtet dürfte vermutlich die Mehrzahl der BTM-Verordnungen nicht hundertprozentig exakt den gesetzlichen Bestimmungen von 1998 entsprechen. Von den Krankenkassen sei das zwölf Jahre lang so hingenommen, die Patienten seien fehlerfrei versorgt worden. Das könnte jetzt vorbei sein, warnt die Freie Apothekerschaft.

Die Novitas BKK müsse sich fragen lassen, ob sie als Krankenkasse nach hunderttausenden BTM-Verordnungen in mehr als einem Jahrzehnt nicht das Augenmaß verloren habe und statt für die Kranken stattdessen nur noch Augen für die "Kasse" habe. Besonders zynisch müsse die Argumentation der Novitas BKK, es gehe um die Arzneimittelsicherheit, den Angehörigen der Schwerkranken erscheinen, die zwischenzeitlich gestorben seien und deren Leiden durch den verantwortungsvollen Einsatz von BTM so weit wie möglich gelindert wurde.

Eine ordnungsgemäße Versorgung Schwerkranker mit BTM sei jedenfalls alleine streng formaljuristisch nicht zu erreichen. Der Gesetzgeber sei dringend gefordert, seine Verordnung unter den neuen Gesichtspunkten so rasch wie möglich zu aktualisieren.

Für weitere Auskünfte zu diesem Themenbereich steht Ihnen als
Ansprechpartner der Freien Apothekerschaft e.V.
Frau Dr. Helma Gröschel
unter Telefon 0 72 76 / 85 78
oder per Mail hgh [at] freie-apothekerschaft.de
jederzeit gerne zur Verfügung.

Quelle: Freie Apothekerschaft e.V,